Gespickt mit Anekdoten und Vanessas «Betriebsgeheimnissen» ist das Buch eine sympathische Anleitung für ein bewussteres Leben mit einer Prise Glamour.

Eine Gentlewoman sein

Wir sollten alle ein bisschen mehr Gentlewoman sein. Warum, das kann man in meiner neuer Stilkolumne nachlesen. 

Nicole Geser über die Stilfibel von Vanessa Seward

Vieles wurde schon über das Geheimnis der Französin geschrieben. Dank Ratgebern, herausgegeben von coolen Pariserinnen, sind wir ihrem verführerischen „Je ne sais quoi“ auf die Spur gekommen. Verwuschelte Haare, wenig Make-up oder dass die Handtasche niemals dem Outfit angepasst werden sollte, das haben wir inzwischen intus. Und dass wir einen gemütlichen Abend mit einem Glas Rotwein dem Fitness-Studio vorziehen, dafür müssen wir nicht einmal Französin sein. Am liebsten blättere ich dazu im Buch „La Guide de la Gentlewoman“, dem etwas anderen Ratgeber.

Une Icône sympa

Die Autorin und gleichzeitig auch Illustratorin ist Vanessa Seward. Meinen Kundinnen wird sie ein Begriff sein. Ihre sehr französischen Kreationen verkauften sich wie warme Croissants, ehe das Label leider der Pandemie zum Opfer fiel.

Seward begann ihre Design Laufbahn einst bei Chanel. Später arbeitete sie für Yves Saint Laurent und war Art Direktorin von Azzaro. Wer nun eine weitere Stilbibel à la „Investieren Sie in einen Trenchcoat“ erwartet, wird überrascht. Um das nächsthöhere Level einer Stilikone zu erlangen, bedarf es mehr Aufwand als in die nächste Boutique zu pilgern. In kurzen Geschichten erklärt uns die Autorin, dass elegant zu sein auch heisst, mit seinem Ego nicht den ganzen Raum einzunehmen und dass nicht Perfektion das Ziel ist, sondern Charme. Gespickt mit Ereignissen aus ihrem Leben, lernen wir so die wahre Vanessa Seward und ihre Ideale kennen. Und möchten uns sofort eine Baguette-Scheibe davon abschneiden. Die Themen, die nach ABC gegliedert sind, sind allesamt lesenswert. Ich picke hier zwei besonders nachhaltige Empfehlungen heraus. Es sind das D wie Décalage (Diskrepanz) und E wie Empathie.

Schön unperfekt

Besteht nicht oft ein grosser Unterschied zwischen dem, was andere in uns sehen und unserem wahren Ich? Eine Gentlewoman kultiviert diese Diskrepanz. Wir haben Ecken und Kanten und genau dies macht unseren Charme aus. Eine, die dieses „Sich nicht allzu ernst nehmen“ auf die Spitze treibt, ist Celeste Barber. Wenn sie wieder einmal ein allzu perfektes Wesen auf Instagram schonungslos parodiert, lachen sich neun Millionen Follower kaputt – sogar die Promis selbst. Sympathisch, oder? Wobei wir bei der Empathie sind.

In Dänemark, dem glücklichsten Land der Welt, sind Empathie Kurse für Kinder obligatorisch. Vanessa findet, das sollte an allen Schulen gelehrt werden. Empathisches Verhalten hat ihr als Designerin geholfen, die Bedürfnisse und Wünsche der Kundinnen zu verstehen. Im Privaten verbessert es unsere Beziehungsfähigkeit, weil es unter anderem die Produktion des Liebeshormons Oxytocin stimuliert. Es wirkt sich positiv auf unsere Ausstrahlung aus. Und Empathie ermöglicht nicht zuletzt mehr Vergnügen und Genuss. Und diesem sind Französinnen bekanntlich ja nicht abgeneigt.

Kolumne für das Magazin «Für Sie» No.65/ Sommer 2022