Wilder Pullover von Stella McCartney auf unschuldigem Weiss. 

Warum nicht?

Wir lassen uns zu oft von anderen beeiflussen. Dadurch geht viel Schönes verloren. Warum man ruhig auf sich selber hören sollte, erzähle ich in meiner Stilkolumne. 

Nicole Geser über den Mut, auf sich selbst zu hören

Als ich vor über zehn Jahren an der Planung meiner Boutique war, bekam ich viele Ratschläge. Ob gewollt oder nicht. An einen erinnere ich mich besonders. Er lautete: „Du musst weisse Blusen einkaufen, die laufen immer.“ Nun, eine weisse Bluse ist durchaus ein Basic, das man im Schrank haben sollte. Aber die Vorstellung, sozusagen auf „Nummer sicher“ zu gehen, fand ich ziemlich langweilig. Schliesslich wollte ich keinen Bedarfsladen, sondern ein Ort der Entdeckung schaffen. Entdecken hat immer auch ein bisschen mit Risiko zu tun. Wer nichts wagt, gewinnt nichts, sagte ich mir. Diese Einstellung habe ich bis heute nicht geändert.

Das will ich

Wenn ich über „Mut“ beim Einkaufen schreibe, meine ich nicht, sich für ein möglichst ausgeflipptes Teil zu entscheiden. Es geht um Offenheit und das Wagnis, sich auf sein Gefühl zu verlassen. Seinem eigenen Geschmack zu vertrauen und sich nicht darum zu kümmern, was andere über das Outfit denken könnten. Was Sie gerade begeistert, kann bei Ihrer besten Freundin nur ein Kopfschütteln auslösen. Aber vielleicht ist sie auch nur ein bisschen neidisch, dass Sie sich getrauen, ein solch spezielles Stück anzuziehen. Und sie nicht.

Ja, ich will

Sie war jung, schön und voller Vorfreude. Ihre Heirat stand in wenigen Wochen an und sie suchte dafür ihr Outfit. Beim Durchgehen der Kollektionen fiel ihr Blick auf einen metallic-glänzenden Jumpsuit und ihre Augen fingen zu leuchten an. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wenige Sekunden später trat sie darin aus der Kabine – und – sah – einfach – nur – hinreissend – ! aus. Ob ich den Jumpsuit bis zum nächsten Tag reservieren könne, sie wolle ihn nur noch ihrer Trauzeugin zeigen.

Was am nächsten Tag folgte, hatte nichts mehr mit Hochzeitsvorbereitungen zu tun, sondern glich einer Beerdigung. Der Beerdigung eines Traums. Schon der Blick der Trauzeugin, als die Braut den Jumpsuit vorführte, sagte alles. Die Braut, die soeben noch eine selbstbewusste Stilikone à la Bianca Jagger war, zerfiel in kleine, unscheinbare Stückchen. Nach all den Tiraden ihrer Freundin, warum sie den Einteiler nicht kaufen sollte, konnte sie sich jetzt wohl selber nicht mehr vorstellen, wie sie auf die kühne Idee gekommen war, etwas so „Gewagtes“ zu ihrer eigenen Hochzeit anziehen zu wollen.

Was sie schlussendlich an ihrer Hochzeit getragen hat, weiss ich nicht. Vermutlich war es irgendetwas Weisses.

Kolumne für das Magazin «Für Sie» No.68/ Frühling 2023